
Im Januar kollidierten nahe Garmisch-Partenkirchen fast zwei DB-Züge. Im Juli starben zwei Menschen bei einer Kollision auf einer Strecke mit denselben Mängeln. Nach unseren Informationen gibt es solche Strecken noch zuhauf.
- Sechs Bahnstrecken in Bayern sind technisch so veraltet, dass Kollisionen von Zügen nicht ausgeschlossen werden können.
- Dazu zählen auch weite Teile der Rottalbahn, die den Wahlkreis von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU*) berührt.
- Pikant: Sein Ministerium hat das bei einer Anfrage im Bundestag verschwiegen.
- Auf Anfrage erklärt das Bundesverkehrsministerium, auf der Garmischer Strecke und Rottalbahn würden unterschiedliche Sicherungsprozesse angewendet.
Beinahe Zug-Katastrophe in Garmisch-Partenkirchen löst alles aus
München/Passau – Am 22. Januar dieses Jahres wäre es bei Griesen in Oberbayern beinahe zur Katastrophe gekommen.* Eine verspätete Regionalbahn auf der Fahrt von Garmisch-Partenkirchen nach Reutte in Tirol hatte gegen 16.45 Uhr den Bahnhof Griesen gerade verlassen, als der Lokführer abrupt bremste: Auf demselben Gleis stand schon eine Regionalbahn. Nur 20 Meter voneinander entfernt kamen die Züge zum stehen.
Beinahe Bahnkollission von Regionalbahnen: Ministerium leitet Untersuchung ein
Wie in solchen Fällen üblich leitete die Bundesstelle für Unfalluntersuchung (BEU) in Bonn, die zum Bundesverkehrsministerium gehört, eine Untersuchung ein. Sie kam im Juli zum Ergebnis, dass die Strecke ohne „technisch realisierten Folge- und Gegenfahrschutz“ betrieben wird. Fahrdienstleiter, die die Reihenfolge der Zugfahrten festlegen, verständigen sich über ein Zugmeldeverfahren per Telefon.
Nach Beinahe-Kollission in Garmisch-Partenkirchen: Behörde regt Sicherheitsprüfung an
Nicht nur die Bahnstrecke bei Griesen ist auf diesem technischen Uralt-Stand, sondern, wie die BEU selbst in ihrem Internet veröffentlichten Zwischenbericht schrieb, 52 weitere Bahnstrecken in Deutschland. Sie regte in dem Bericht an, alle Strecken einer Sicherheitsbewertung zu unterziehen, Welche Strecken im Einzelnen davon betroffen wären, wurde jedoch nicht veröffentlicht.
DB Netz will Liste der gefährlichen Strecken nicht herausgeben - unser Verlag klagt dagegen - mit Erfolg
Nachdem sich sowohl die Bahnunfalluntersuchung-Stelle als auch die DB Netz AG trotz mehrfacher Bitte weigerten, die Strecken im einzelnen zu nennen, reichte unser Verlag beim Verwaltungsgericht Frankfurt/Main (wo die DB Netz ihre Zentrale hat) eine Auskunftsklage ein. Am Montag gab die Bahn auf Anraten ihrer Anwälte klein bei. Um einen Prozess zu vermeiden, übernahm sie die Verfahrenskosten und schickte unserer Zeitung die komplette Liste. (Dieselbe finden Sie ganz unten im Artikel angehängt.)
Jetzt steht fest: Es sind Bahnstrecken überall in Deutschland. Lüneburg-Dahlenburg (Niedersachsen), Wabern-Fritzlar (Hessen), Rastatt-Wintersdorf (Baden-Württemberg) und viele weitere Nebenlinien sind technisch veraltet. Einige Strecken liegen auch in Ostdeutschland und führen nach Tschechien. Genannt wird auch die Bahnstrecke von Johanngeorgenstadt im sächsischen Erzgebirge nach Potucky, die dann weiter bis nach Karlsbad führt. Dort war es im Juli zum Zusammenstoß zweier Regionalzüge gekommen, bei dem zwei Menschen starben. Aufgeführt werden ferner sechs bayerische Bahnstrecken – dazu gleich mehr.
Gefährliche Bahnstrecken in ganz Deutschland: Plötzlich Thema auch im Bundestag
Noch bevor unsere Zeitung von der DB die komplette Liste erhielt, hatte das Thema den Bundestag erreicht. Nach einem Tipp des Münchner Grünen*-Abgeordneten Dieter Janecek, der unsere Berichterstattung verfolgt hatte, reichte sein baden-württembergischer Kollege Gerhard Zickenheiner bereits im Juli eine Anfrage ein, welche Bahnstrecken in Bayern ohne technisch realisierten Folge- und Gegenfahrschutz betrieben werden. Janecek hätte die Anfrage gerne selber eingereicht, er hatte sein Kontingent jedoch schon ausgeschöpft – daher der Umweg über seinen Kollegen Zickenheiner.
Grüne stellen Anfrage im Bundestag: Scheuer-Ministerium verschweigt gefährliche Bahnstrecke
Am 24. Juli – noch bevor unsere Zeitung also die komplette Liste erhielt – antwortete der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Enak Ferlemann (CDU*): Neben der Strecke bei Griesen gebe es nur noch eine weitere derart veraltete Route: zwischen Landsberg und Schongau. Dort fahren aber nur ab und an Güterzüge der Schongauer Papierfabrik, keine Personenzüge.
Verschwiegene Bahnstrecken liegen in Niederbayern - genauer bei Passau
Was Ferlemann nicht erwähnte: Die Unfalluntersuchungsstelle des Bundes hatte sehr wohl noch weitere Bahnstrecken in Bayern im Visier. Es handelt sich um vier aufeinanderfolgende Abschnitte der Rottalbahn. Das ist eine eingleisige, nicht elektrifizierte Bahnstrecke, die durch das touristisch interessante Bäderdreieck von Passau* bis Neumarkt-St.Veit und dann weiter nach Mühldorf führt. Die Strecke dürfte eine der langsamsten in Bayern sein – wer sie von Anfang bis Ende durchfährt, ist rund drei Stunden unterwegs und muss mindestens einmal umsteigen. Dazu kommen nun die vom BEU offen gelegten Kollisionsgefahren. Ohne technischen Kollisionsschutz sind speziell die rund 70 Kilometer zwischen Passau-Güterbahnhof bis Eggenfelden in Niederbayern.
Pikant: Ministerium verschweigt Problem-Bahnstrecke - Sie liegt im Walhkreis von Andreas Scheuer (CSU)
Bahnprobleme in Niederbayern – wieder einmal. Eben erst hat Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) verfügt, dass ein Teil der Waldbahn (Gotteszell-Viechtach) wegen zu wenigen Fahrgästen eingestellt wird. Der Unmut in der Region – auch bei CSU-Mandatsträgern – ist deswegen groß. Das nun bekannt gewordene Problem betrifft ihren Kollegen auf Bundesebene, Andreas Scheuer (CSU). In seinen Wahlkreis (Stadt und Landkreis Passau) führt die Uralt-Bahnstrecke.
Warum hat Scheuers Staatssekretär die Problem-Bahnstrecke in seinem Wahlkreis verschwiegen?
Warum hat Scheuers Staatssekretär Ferlemann die Rottalbahn bei der Beantwortung der Bundestags-Anfrage verschwiegen? Auf Anfrage erklärt das Bundesverkehrsministerium, auf der Garmischer Strecke und Rottalbahn würden unterschiedliche Sicherungsprozesse angewendet. Ferlemann habe nur die beiden Strecken genannt, bei denen es allein auf Absprachen zwischen den Fahrdienstleitern ankomme. Bei der Rottalbahn gebe es sehr wohl „unterstützende Sicherungen“ – welche, sagt das Ministerium aber nicht. Klar ist jedenfalls, dass die Rottalbahn auf der Mängelliste der BEU aufgelistet ist.
Die Grünen hegen einen Verdacht. Der Abgeordnete Dieter Janecek ist gelinde gesagt unzufrieden mit der „Antwortqualität“ des Ministeriums. Es sei ja schlicht „peinlich“, dass so eine vorsintflutliche Strecke zum Teil im Wahlkreis Scheuers liege. „Sollte sich bestätigen, dass das Bundesverkehrsministerium hier bewusst Informationen zurückgehalten hat, wäre das wirklich allerhand“, sagte Jancek unserer Zeitung. Das werde auch ein Nachspiel haben.
Die Pressestelle der Deutschen Bahn veröffentlichte am Montag, nur 20 Minuten nachdem sie unserer Zeitung die Liste via E-Mail geschickt hatte, eine offenbar schon länger vorbereitete Pressemitteilung. „Das sicherste Verkehrsmittel Schiene wird noch sicherer“, heißt es darin. „Die Deutsche Bahn stattet ältere mechanische und elektromechanische Stellwerke sowie eingleisige Nebenstrecken mit zusätzlicher Sicherungstechnik aus.“ Dafür würden in den nächsten drei Jahren 100 Millionen Euro investiert. 100 Millionen für 53 Strecken – da bleibt weniger als zwei Millionen Euro je Strecke übrig. Ob das für sicheren Zugverkehr reicht, ist eine unbeantwortete Frage.
Alle betroffenen Strecken geordnet nach Streckennummer, Streckenabschnitt; und weiteren Informationen
- 1131 Abzweig Strecknitz - Lübeck Schlutup
- 1137 Abzweig Brandenbaum - Lübeck Konstinbahnhof; Hafenanschluss, Infrastruktur der Lübeck Port Authority
- 1151 Lüneburg – Dahlenburg
- 1151 Dahlenburg - Dannenberg Ost
- 1201 Niebüll – Tondern; Infrastruktur der Norddeutschen Eisenbahn Gesellschaft, Banedanmark
- 3212 Bouzonville – Hemmersdorf; Anschluss nach Frankreich
- 3941 Wabern – Fritzlar
- 4025 Karlsruhe-Knielingen - Neureut Anschluss an Infrastruktur der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG)
- 4220 Karlsruhe-West - Karlsruhe; Hafen Anschluss an Infrastruktur der Karlsruher Versorgungs-, Verkehrs- und Hafen GmbH (KVVH)
- 4242 Rastatt (Weiche 320) – Wintersdorf; Anschluss an Infrastruktur der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG)
- 4250 Biberach - Zell am Harmersbach; Anschluss an Infrastruktur der Südwestdeutsche Landesverkehrs-AG (SWEG)
- 4310 Breisach – Achkarren Anschluss an Infrastruktur der Südwestdeutsche Landesverkehrs-AG (SWEG)
- 4540 Schelklingen – Münsingen Anschluss an Infrastruktur der Schwäbische Alb Bahn (SAB)
- 4550 Altshausen – Pfullendorf Anschluss an Infrastruktur der Pfullendorfer Bahn
- 4550 Roßberg - Bad Wurzach; Infrastruktur der Stadt Wurzach, Betrieb durch Württembergische Eisenbahn-Gesellschaft (WEG), Zulauf für Glaswerk Verallia Deutschland AG
- 5365 Landsberg am Lech – Schongau nur Güterzugbetrieb
- 5452 Griesen (Oberbayern) - Griesen (Oberbayern) Grenze Anschluss nach Österreich
- 5832 Passau Güterbahnhof – Fürstenzell
- 5832 Fürstenzell – Sulzbach (Inn)
- 5832 Sulzbach (Inn) – Pocking
- 5832 Pocking – Eggenfelden
- 6269 Elsterberg – Barthmühle
- 6269 Wünschendorf – Berga/E
- 6269 Berga/E – Greiz
- 6269 Greiz – Greiz-Dölau
- 6269 Greiz-Dölau – Elsterberg
- 6270 Bad Brambach - Voitanov (CZ) Anschluss nach Tschechien
- 6302 Hohenebra – Bk Hohenebra Ort
- 6302 Bk Hohenebra Ort – Wasserthaleben
- 6588 Großschönau - Varnsdorf (CZ) Anschluss nach Tschechien
- 6606 Ottendorf-Okrilla-Süd - Ottendorf-Okrilla-Nord
- 6623 Vejprty – Cranzahl Anschluss nach Tschechien
- 6623 Cranzahl – Annaberg-Buchholz (Süd)
- 6624 Annaberg-Buchholz (Süd) – Schwarzenberg (Erzgebirge)
- 6626 Potůčky – Johanngeorgenstadt Anschluss nach Tschechien
- 6707 Gerstungen – Heringen ausschließlich Güterverkehr
- 6707 Heringen – Heimboldtshausen ausschließlich Güterverkehr
- 6711 Weimar - Weimar Berkaer Bahnhof
- 6726 Freyburg (Unstrut) – Laucha
- 6726 Laucha – Karsdorf
- 6726 Nebra - Nebra DB-Grenze Anschluss an Strecke nach Artern, verpachtet an Deutsche Regionaleisenbahn (DER)
- 6759 Templin – Milmersdorf Infrastruktur der Hanseatischen Infrastrukturgesellschaft mbH
- 6759 Milmersdorf – Joachimsthal Infrastruktur der Hanseatischen Infrastrukturgesellschaft mbH
- 6825 Lüptitz – Eilenburg ausschließlich Güterverkehr, Sächsische Quarzporphyr-Werke GmbH (SQW)
- 6831 Eilenburg Ost – Laußig Strecke verpachtet an Deutsche Regionaleisenbahn (DER)
- 6843 Falkenberg unterer Bahnhof - Falkenberg oberer Bahnhof
- 6845 Falkenberg unterer Bahnhof - Falkenberg oberer Bahnhof
- 6846 Falkenberg unterer Bahnhof - Falkenberg oberer Bahnhof
- 6880 Biederitz – Büden Strecke verpachtet, Gelegenheitsverkehr für Bundeswehr sowie Traditionszug
- 6901 Salzwedel – Arendsee Strecke verpachtet, aktuell kein Zugverkehr
- 6933 Neustadt-Glewe – Parchim
- 9390 Kassel-Wilhelmshöhe (Weiche 565) - Naumburg (Bz Kassel)
- 9422 Ettlingen-West - Ettlingen Stadt
Ein Mann hat sich in einem Regensburger Autohaus einen Pickup der Marke Ford für eine Probefahrt ausgeliehen. Er hat ihn nicht zurückgebracht - das war noch nicht alles.*
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September 03, 2020 at 10:56AM
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